Für ein krisenresilienteres Gesundheitssystem:
Anders Tegnell: Apotheken stärker miteinbeziehen – vor allem bei Prävention
Der Epidemiologe Anders Tegnell war das Gesicht des „schwedischen Sonderwegs“ während der Corona-Pandemie und ist als Gesundheitsexperte weltweit gefragt. Er sieht weitere wichtige Versorgungsaufgaben auf die Apotheken zukommen.

Im Frühjahr 2020 wurde Anders Tegnell binnen weniger Wochen weltbekannt. Der auf Infektionskrankheiten spezialisierte Arzt und langjährige Staatsepidemiologe der schwedischen Behörde für öffentliche Gesundheit wurde zum Koordinator des sogenannten „schwedischen Sonderweges“, den das skandinavische Land während der Corona-Pandemie auf seine Empfehlungen hin eingeschlagen hatte. Statt restriktiver Maßnahmen wie Schulschließungen, „Lockdowns“ oder Impfpflicht setzte Schweden stärker auf Freiwilligkeit und Eigenverantwortung der Bürger:innen. Im Rahmen seines Vortrages beim APOtag &APOkongress (15. bis 17. Juni, Messe Wien) wird Tegnell auf diese herausfordernde Zeit zurückblicken und darüber sprechen, wie man das Gesundheitssystem krisensicherer aufstellen kann – natürlich unter Einbindung der Apotheken als wichtige Säule.
Zusätzliche Apotheken-Dienstleistungen im Bereich der Prävention
Um die Zusammenarbeit von Ärzt:innen und Apotheker:innen auszubauen, Spitäler und Ordinationen zu entlasten und die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, spricht Tegnell sich dafür aus, Apotheken mehr Aufgaben im Bereich der Prävention zu übertragen. In Österreich wird daran bereits intensiv gearbeitet. So sollen beispielsweise schon in naher Zukunft flächendeckend Gesundheitsscreenings in Apotheken durchgeführt werden, um gesundheitliche Fehlentwicklungen frühzeitig und kostengünstig erkennen und dadurch teure Folgebehandlungen vermeiden zu können. Im Zuge der Pandemie-Bekämpfung haben die Apotheken binnen weniger Tage eine landesweite, niederschwellige Test-Infrastruktur auf die Beine gestellt, die dem Gesundheitssystem auch in Zukunft wertvolle Dienste leisten könnte.
Klares Ja zum Impfen durch Apotheker:innen
Aufgeschlossen ist Tegnell auch gegenüber dem Vorhaben, Apotheker:innen das Impfen zu erlauben. Würde er sich als Arzt auch selbst von einem Apotheker, einer Apothekerin impfen lassen? „Selbstverständlich, wenn er/sie über das notwendige Wissen verfügt, die Impfung fachgerecht durchzuführen“, lautet seine Antwort. Genau das stellt in Österreich die Apothekerkammer über eine Impffortbildung auf höchstem internationalen Niveau sicher, sodass die Apotheker:innen Theorie und Praxis des Impfens bestens beherrschen.
Schwedisches Apothekensystem krankt nach Deregulierung
Ein flächendeckendes Apothekennetz wie in Österreich würde sich Tegnell auch für Schweden wünschen. Denn durch das System der bedarfsgerechten Verteilung mit vielen starken Einzelbetrieben ist in Österreich sichergestellt, dass es überall eine wohnortnahe und zuverlässige Versorgung mit Arzneimitteln gibt. In Schweden ist dies leider nicht der Fall. Über Jahrzehnte gab es dort ein staatliches Apothekenmonopol. Im Jahr 2009 erfolgte dann eine starke Deregulierung und Privatisierung des Apothekensystems. Es bildeten sich einige große Apothekenketten, die vor allem die urbanen Ballungsräume bedienen, während ländliche Gegenden unterversorgt bleiben. Tegnell sieht diese Entwicklung kritisch. „Leider hat die Versorgungslage im pharmazeutischen Sektor darunter gelitten. Die Verantwortlichkeiten für die Lager- und Verfügbarhaltung von Medikamenten sind nicht klar geregelt und Engpässe sind eher die Regel als die Ausnahme”, berichtet der 67-Jährige.
Wer den schwedischen Gesundheitsfachmann live erleben möchte, hat am 17. Juni die Gelegenheit. Beim APOtag & APOkongress in Wien wird Tegnell über das Thema “Lessons learnt from the pandemic” referieren.